Töne – kann man nicht erfinden. Sie waren lange vor uns da, begegnen uns im Augenblick, kennen aber weder Zuvor noch Danach. Womöglich haben die Töne ja uns erschaffen, um gespielt und gehört zu werden. Sie stecken in uns, unseren Schwingungen, Bewegungen, Gedanken, in den Spuren unseres Lebens. Unser Miteinander ist ein ständiges Wechselspiel von Harmonie und Dissonanz, eine Abfolge von Rhythmen, Verdichtungen und Phasenverschiebungen. Mikrokosmos-Makrokosmos, Yin und Yang, Huhn oder Ei. Steckt die Musik in uns, oder sind wir am Ende selbst nur eine Kadenz?
In letzter Konsequenz ist das Spiel mit den Tönen nichts anderes als die bewusste Akzeptanz des Lebens. Brauchen wir mehr als dieses bedingungslose Einlassen auf die Schöpfung, um Musik zu hören? Sie zu spielen? Nichts könnte jemals verklingen. Jeder Ton, jeder Takt ist ewig. Selbst das Anklingen ist nur Illusion. Die Teilhabe an der Immergültigkeit des Klanges entspricht der punktuellen Einsicht in den Kanon des Universums, die wir Wahrnehmung nennen.
Lebendige Musik im ursprünglichen Sinn des Wortes basiert auf dem unbedingten Respekt gegenüber jedem einzelnen Ton, jedem Takt, jeder Harmonie. Jenseits physikalischer Beschreibbarkeit ist jeder Klang einzigartig. Die Unverwechselbarkeit von Timbre, Kolorit und Stimmung ließe sich niemals unterwerfen. Gelingt es dem schöpferischen Individuum, sich mit dem unergründlichen Mysterium des Klanges zu synchronisieren und Improvisation als Kategorie des Lebens zu verinnerlichen, vereint sich das göttliche Prinzip der Musik mit unserem Puls, Atem, Schritt, unserem Biorhythmus und – Stammbaum.
Wolf Kampmann